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Pflege und Medizin

Vom „Einzelkämpfer mit Praxis“ zum Teamplayer

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Vom Hörsaal in die Praxis: Ein Projekt soll Studenten den Gang aufs Land schmackhaft machen. iStockphoto.com/skyneshe

Projekte statt Quote

Martina Wenker ist seit 2006 Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen. Die Fachärztin für Innere Medizin fordert mehr Lehrer an den Universitäten und einen Zugang zum Studium auch für erfolgreiche Gesundheitsfachleute – aber auch Weiterbildungsmöglichkeiten und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Ärzte auf dem Land.Frau Dr. Wenker, in Niedersachsen fehlen bereits jetzt in ländlichen Regionen vor allem Hausärzte und die Situation wird sich weiter verschärfen. Woran liegt das? Ist der Beruf für junge Menschen nicht mehr attraktiv genug?

Dr. Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, berichtet im Interview über die Entwicklung des Arztberufes

Das liegt vor allem daran, dass viele Ärztinnen und Ärzte der sogenannten Babyboomer-Generation ihr Rentenalter erreicht haben oder kurz davor stehen, in den Ruhestand einzutreten. Gleichzeitig sind durch die begrenzte Anzahl an Medizinstudienplätzen nicht ausreichend junge Kolleginnen und Kollegen nachgekommen. Hinzu kommt ein hohes Maß an Bürokratie und die fehlende Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit, die viele engagierte und qualifizierte junge Menschen davon abhält, sich für die Niederlassung zu entscheiden.

Ein Medizinstudium gilt als sehr anspruchsvoll: Was sollten Studierende mitbringen?

Studierende der Medizin sollten in der Lage sein, sich in kurzer Zeit umfangreiches Wissen und praktische Fähigkeiten anzueignen, über ein abstraktes Denkvermögen verfügen, möglichst gute naturwissenschaftliche Vorkenntnisse mitbringen und vor allem teamfähig sein und Freude an der Arbeit mit Menschen haben. Vorerfahrungen in Gesundheitsfachberufen, ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ehrenamtliches Engagement in Gesundheitseinrichtungen helfen, diese Herausforderungen zu meistern.

Was kann die Politik, was können die Universitäten tun, damit mehr Ärzte ausgebildet werden?

Bei den meisten Fakultäten reicht schlicht der Platz nicht aus, um mehr Studierende aufzunehmen. Das Land Niedersachsen sollte deshalb bauliche Maßnahmen ergreifen, die natürlich Geld kosten – ebenso wie die Aufstockung des Lehrkörpers. Einige Hochschulen im Land sind bereit, auch langfristig deutlich mehr Studienplätze für Medizin bereitzustellen: Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH), die European Medical School (EMS) in Oldenburg/Groningen und die Universität Göttingen verfolgen bereits konkrete Pläne.
                         

Vom „Einzelkämpfer mit Praxis“ zum Teamplayer-2
Dr. med. Martina Wenker Christian Wyrwa

Weisen Überlegungen, die Zulassung zum Medizinstudium zu reformieren, in die richtige Richtung?

Auf jeden Fall. Die Eignung für den Arztberuf manifestiert sich nicht nur in der Abiturnote. Entscheidend sind auch die soziale Kompetenz, die Empathie für den Umgang mit Patienten und ihren Krankheiten sowie einschlägige Berufserfahrungen. Die Zulassung darf sich nicht nur auf numerische Kriterien stützen. Denn wer zum Beispiel in Gesundheitsfachberufen bereits sehr erfolgreich arbeitet, das Abitur mitbringt und sich mit großer Motivation für den Arztberuf weiterqualifizieren möchte, sollte auch die Chance erhalten, sich in einem gut strukturierten Auswahlverfahren für das Studium der Humanmedizin zu empfehlen.

Wie sind die Berufsaussichten für Absolventen? In welchen Bereichen werden Ärzte vor allem gesucht?

Die Berufsaussichten für Ärztinnen und Ärzte sind aktuell mehr als gut. Sowohl in den Kliniken als auch in den Praxen werden junge Kolleginnen und Kollegen händeringend gesucht. Auch im Öffentlichen Gesundheitsdienst herrscht Mangel an ärztlichem Nachwuchs.

Welche Möglichkeiten bestehen, sich als Arzt später weiterzuqualifizieren und zu spezialisieren?

Nach dem Studium der Humanmedizin können die jungen Kolleginnen und Kollegen promovieren, also „ihren Doktor machen“. Anschließend können sie sich im Rahmen einer ärztlichen Weiterbildung auf ein Fachgebiet der Medizin spezialisieren. Im Laufe des Berufslebens können noch weitere Spezialisierungen und Zusatzbezeichnungen erworben werden. Außerdem lernen Ärztinnen und Ärzte ihr Leben lang: Wir sind verpflichtet, uns im Rahmen unserer jeweiligen Fachgebiete regelmäßig fortzubilden.

Eine hohe Arbeitsbelastung ist für Ärzte keine Seltenheit. Wie lassen sich Beruf und Familie vereinbaren?

Nur gesunde Ärztinnen und Ärzte können Patientinnen und Patienten gut und umfassend behandeln. Das steht inzwischen auch in der neuen Fassung der Deklaration von Genf, die unserer Berufsordnung vorangestellt ist. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist dabei ein wichtiger Aspekt, für den wir uns in der Ärztekammer Niedersachsen starkmachen. In den vielfältigen Arbeitswelten, die Ärztinnen und Ärzten offenstehen, muss gewährleistet werden, dass ausreichend Zeit für Erholung, Familie und Freunde zur Verfügung steht.

Immer mehr Frauen studieren Medizin. Wird der Arztberuf weiblich?

Die Work-Life-Balance spielt für junge Ärzte und Ärztinnen eine weit größere Rolle, als es früher der Fall war. Das ist keine Frage des Geschlechts: Auch Väter gehen in Elternzeit, wünschen sich mehr Zeit mit ihrer Familie und benötigen freie Zeit zur Erholung. Der Arztberuf muss sich mehr vom klassischen „Einzelkämpfer mit eigener Praxis“ in Richtung Gemeinschaftspraxis und Teamarbeit entwickeln, um auch für nachfolgende Generationen attraktiv zu sein.
                   

Projekte statt Quote

Um dem zunehmenden Mangel an Ärzten in ländlichen Regionen zu begegnen, diskutiert die Politik eine Landarztquote. Die lehnt die Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) entschieden ab. Sie setzt vielmehr auf Projekte, die schon länger verfolgt werden: So organisiert die ÄKN-Bezirksstelle Wilhelmshaven gemeinsam mit der Gesundheitsregion Jade-Weser vielfältige Kurs- und Bildungsangebote, zu denen Studierende der Humanmedizin eingeladen werden. Das Projekt „Land(Er)Leben. Medizin Lernen und Leben von Jade bis Weser“ wird von ärztlichen Mentoren aus verschiedenen Fach- beziehungsweise Schwerpunktbereichen begleitet. Den „Landgang Stade“ unterstützt die ÄKN-Bezirksstelle Stade: Vernetzte Ärztinnen und Ärzte bieten im Landkreis ein Blockpraktikum für Studierende an, um einen Einblick in die Organisation des täglichen Praxisablaufs zu geben.

Praktikum nach dem Abitur

Einige Ausbildungsstätten und Universitäten erkennen den Freiwilligendienst als Praktikum an. Darüber informiert das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in der Broschüre „Erfolgreich arbeiten“. Hat der Abiturient beispielsweise ein Jahr lang in einer Pflegestation gearbeitet, kann das die Chancen auf das Medizinstudium verbessern. Wer nach dem Abitur schon einen Zukunftsplan hat, sollte sich daher frühzeitig bei der Universität oder dem Ausbildungsunternehmen über solche Anerkennungsmöglichkeiten informieren. dpa/tmn