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100 Jahre Malermeister Sensing

Malermeister Gustav Sensing vor 100 Jahren: Ein Westfale kommt nach Langenhagen

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Stolze Handwerker: Langenhagener Maler nehmen am 1. Mai am Ausmarsch teil.

Im November 1921 gründete Malermeister Gustav Sensing seinen Handwerksbetrieb in Langenhagen. Der junge Westfale Sensing, 1890 geboren und mit neun Geschwistern auf einem Bauernhof bei Bielefeld aufgewachsen, war Malermeister und Absolvent der Kunstschule. Er hielt Ausschau nach einem Ort, der ausreichend Betätigungsfelder bot. „Langenhagen kann einen zweiten Maler gut vertragen“, hatte die Schwester seiner Schwägerin berichtet. Der junge Malermeister folgte dem verwandtschaftlichen Rat, kam nach Langenhagen und blieb.

Malermeister Sensing – die Unternehmensgeschichte beginnt

Mit Gustav Sensings Firmengründung begann die Unternehmensgeschichte von „Malermeister Sensing“. Heute ist es Langenhagens ältester Meisterbetrieb des Malerhandwerks. „Bis heute nehmen Menschen Pinsel oder Rolle in die Hand“, sagt Gustav Sensings Tochter. Wenn sich Sonja Freimann erinnert, fallen ihr viele Unterschiede zur Gegenwart ein. Der Transport von Farben, Werkzeug und Leiter wurde beispielsweise zu Fuß erledigt. Der Firmengründer schob einen Karren zum Transport seiner Materialien. Bis Brink und Krähenwinkel marschierte Gustav Sensing, der zu den örtlichen Landwirten einen besonderen Draht entwickelte. „Die Mitgliedschaft im Schützenverein öffnete ihm weitere Türen“, berichtet Sonja Freimann. Die 90-jährige lebt in ihrem Elternhaus am Reuterdamm 25 und schildert ihren Vater als verlässlichen, akurat arbeitenden Handwerker, der sich einen großen, regionalen Kundenstamm aufbauen konnte. Seine kunstmalerischen Ambitionen, auf der westfälischen Kunstschule verfeinert, fanden Gefallen.

Bruder Hermann wird nach Langenhagen gerufen

Schon kurz nach der Betriebsgründung hatte Gustav Sensing so gut zu tun, dass er seinen Bruder Hermann mit in seine Firma holte. Hermann Sensing war Malergeselle an der Elbe, als er von Hamburg nach Langenhagen wechselte. 1928 machte auch Hermann Sensing seinen Meister, indem er den Dielenbereich des gerade errichteten Neubaus am Reuterdamm 25 ausgestaltete.

Es gab zwei Meister im Betrieb, aber die Rangordnung war klar geregelt. „Mein Vater sagte immer: es kann nur einen Chef geben – und das war er selbst“, blickt Sonja Freimann zurück. Erst mit 80 Jahren gab Firmengründer Gustav Sensing seine Position offiziell auf. Nachfolger wurde der Sohn seines Bruders Hermann, ebenfalls Hermann mit Namen. Er war Malermeister, hatte Berufserfahrung in der Schweiz gesammelt und erhielt aus Gründen der Unterscheidung den Zusatz junior. 
   

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Kinderglück mit Hund: Sonja (5) lernt gut rechnen und überprüft als Schülerin Aufmaße und Kostenvoranschläge ihres Vaters Gustav. Repros: Patricia Chadde (5)
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Stillleben von Gustav Sensing: Ein Gemälde aus seiner Zeit als Besucher der Kunstschule offenbart sein gestalterisches Talent. Fotos: privat (6)

„Mein Vater hatte neben großem Geschick auch immer viel Glück“, blickt Sonja Freimann auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. Gustav und Hermann Sensing überlebten den Ersten Weltkrieg und waren im Zweiten Weltkrieg zu alt, um eingezogen zu werden. Sie waren nur an der Heimatfront im Einsatz. Dadurch blieb ihre Arbeitskraft während der Kriegsjahre vor Ort, sodass der Malerbetrieb fortbestehen konnte. Eine Phosphorbombe, die im Garten gelandet war, zündete nicht. Auch bei weiteren Angriffen blieb das Firmen- und zugleich Wohngebebäude weitgehend unversehrt. Wegen Missachtung einiger SA-Auflagen musste Gustav Sensing allerdings ins holländische Straflager, überstand die Zeit aber gut. Pigmente und Leinölfässer waren sicher im Garten vergraben und sicherten den Neubeginn. Sogar der Ford Eifel, der bei einer Bombardierung sein Heck einbüßte, konnte repariert werden. Anstelle des fehlenden Rückteils wurde eine Ladefläche konstruiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Eigenbau zum ersten sensingschen Firmenwagen. „Aus der Not eine Tugend machen, in die Hände spucken und wieder von vorne angefangen, das war mein Vater!“
    

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Familienbande: Gustav (von links) und Bruder Heinrich Sensing mit ihren Geschwistern
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Firmensitz: Am Reuterdamm werden 1928 Werkstatt und Wohnhaus gebaut.

Im Familienbetrieb ­ bekommt ­jeder eine Aufgabe

Auch wenn bisher ausschließlich Männer die Firma „Malermeister Sensing“ führten, wurden alle Familienmitglieder in den Betrieb eingebunden. Im Dezember 1928, heirate Gustav Sensing die 21-jährige Ella. Er hatte die junge Hauswirtschafterin bei Malerarbeiten in der Praxis des Mediziners Dr. Stanglmeier kennengelernt. „Meine Mutter kümmerte sich bei uns um den kompletten Haushalt und die Buchhaltung. Sie hielt Kontakt zu den Kunden und sorgte nach meiner Geburt für mich und später auch für meine erste Tochter Kriemhild“, berichtet Sonja Freimann. Sie wurde als Mädchen zu kleinen Aufgaben herangezogen und rechnete die Aufmaße aus oder schrieb die Kostenvoranschläge des Vaters. „Überprüfe das mal“, sagte Gustav Sensing dann und ließ Tochter Sonja die zu streichenden Quadratmeter nachrechnen. Nach der Schule qualifizierte sich Sonja Freimann auf der Handelsschule und war bis 1991 in der Buchhaltung der Firma tätig. Zuerst nebenberuflich nach Feierabend und an den Wochenenden. Nach der Geburt ihrer zweiten Tochter Kirsten hauptberuflich.

Malermeister rührten ­ ihre Farbe selbst an

In unserem Keller am Reuterdamm lagerten Farbpigmente und Leinölfässer“, erinnert sich Sonja Freimann an die väterliche Malerwerkstatt. Dort rührten die Handwerker in den Vorkriegsjahren ihre Farben aus Farbpigmenten und Bindemitteln selbst an. Aus Knochenleim wurde außerdem die sogenannte Leimfarbe gekocht. In den 1980er Jahren wurde das herunterwaschen dieser Leimfarbe eine typische Aufgabe für Auszubildende des Malerhandwerks. Daran erinnert sich Kirsten Freimann, jüngste Enkeltochter des Firmengründers „Auf herkömmlich hergestellten Leimfarben halten keine modernen Dispersionsfarben“, erklärt die Maler­gesellin. 
 

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90. Geburtstag: Neben Firmengründer Gustav Sensing steht Neffe und Nachfolger Hermann Sensing junior.

Lackierte Holztüren stammen ­ aus der Vorkriegszeit

Doch wie sehr ein sorgfältiger Farbauftrag zu Erhalt und Schönheit beitragen kann, beweisen die Zimmertüren im Haus des Firmengründers. „Das ist noch die Erstausstattung“, sagt Sonja Freimann und zeigt auf die weiß lackierten, kassettierten Holztüren ihrer Wohnung. Die überstanden erst Bombardierungen und später Modernisierungen. Aber natürlich bekamen sie im Laufe der Jahre den einen oder anderen neuen Anstrich aus Profihand. Wobei der ­ Lack mit einem Pinsel aufgetragen wurde und nicht mit einer Rolle. Auch Gustav Sensings Firmenschild aus schwarzem Stein hängt bis heute an dem Platz, an dem es der Firmengründer nach Fertigstellung seines Hauses 1928 anschraubte. Gustav Sensing wurde 100 Jahre alt. Patricia Chadde