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Haarige Zeiten – Von auftoupiert bis zottelig

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istockphoto.com/CentralITAlliance

Ob glatt, kraus, feuerrot oder pechschwarz, wallend fallend oder als Irokesenschnitt – das Haar beschäftigt uns seit Menschengedenken. Fiel die menschliche Behaarung zu Urzeiten, als wir noch mit Keule und Speer dem Mammut hinterherjagten, deutlich üppiger aus, entscheidet heute jeder ganz bewusst über das Ausmaß seiner Haarpracht. Es sprießt Haare bestehen wie Finger- und Fußnägel aus Horn, also abgestorbenen Zellen. Sie enthalten weder Blutgefäße noch Nerven. Die Haarwurzeln und Follikel in der Kopfhaut produzieren Haarzellen. Diese schieben sich nach oben und werden zu sogenannten Spindeln. Die wiederum bilden lange Fasern, die sich untereinander verdrehen und schließlich zu einem Haar werden. Welche Farbe das Haar hat, hängt von der Menge der beiden Pigmente Eumelanin und Phäomelanin ab. Je nach deren Mischungsverhältnis – Ersteres sorgt fürs Schwarz-Braune, Letzteres fürs Rot-Blonde – gestaltet sich die Haarfarbe. Fehlen diese beiden Pigmente ganz, führt dies zum sogenannten Albinismus. Betroffene haben bleiches, schier farbloses Haar.Unser Haar ergraut, wenn mit zunehmendem Alter immer weniger von der Aminosäure Tyrosin produziert wird. Denn sie ist für die Melaninproduktion essenziell.


Wenn das Haar nicht will

Wer kennt sie nicht, die Bad-hairdays, wenn jedes einzelne Härchen seinen ganz eigenen Kopf zu haben scheint? Gerne auch sprießen die Hautanhanggebilde, wie sie Biologen nennen, genau dort, wo man sie eben überhaupt nicht haben möchte. Oder verwehren ihr Auftreten partout an der Stelle, wo sie gemeingesellschaftlich primär angedacht sind: auf dem Haupte. Jeder zweite Deutsche muss im Laufe seines Lebens damit rechnen – insgesamt leiden bundesweit Schätzungen nach zwölf Millionen Menschen an Haarausfall. Ob phasenweise oder dauerhaft, meist spielen hormonelle Veränderungen eine Rolle, ausgelöst auch durch Stress, Schwangerschaft oder die Wechseljahre. Das weibliche Hormon Östrogen ist maßgeblich für das Haarwachstum verantwortlich, ein Grund, weswegen Männer offensichtlich mehr vom Haarausfall betroffen sind als Frauen. Aber auch Vergiftungen, Pilzinfektionen der Kopfhaut, die Einnahme bestimmter Medikamente und Vitaminmangel bedingen das Ausfallen der Haare. Eine verbreitete Krankheit ist die Alopecia areata, der kreisrunde Haarausfall, eine entzündliche Erkrankung. Sie ist teils psychisch bedingt, wird auch als Autoimmunkrankheit erforscht, ein Gang zum Hautarzt ist ratsam. Zinktabletten oder Kortison können eine Besserung herbeiführen.

Ein Kulturgut

Der Kreativität auf dem Kopf sind kaum Grenzen gesetzt. So kann ein passender Haarschnitt lichtere Stellen geschickt verdecken. Allen voran: der sogenannte verstrubbelte Out-ofbed-Look. Er sorgt für mehr Volumen. Haarpuder kann zusätzliche Fülle in dünnes Haar zaubern. Die Frisur ist schon seit Jahrhunderten Teil des menschlichen Kulturguts und Ausdruck der eigenen Identität. Schon in der Antike galten die Haare als Sitz der Lebenskraft und Seele. Seit jeher wird es als demütigende Geste empfunden, jemanden seiner Haare zu berauben, etwa mit einer Zwangsrasur. kahl geschorene Mönche dagegen demonstrieren mit ihrer Haarlosigkeit ihre Unterwerfung vor Gott.

Im Gegensatz dazu, so die Kulturwissenschaftlerin Nicole Tiedemann-Bischop, stehe eine lange Mähne häufig für freizügige Sexualität. Auch die Haarfarbe gibt vermeintlich Aufschluss über den Typ, der sie trägt: Oftmals ist sie besetzt durch Persönlichkeiten in der Gesellschaftsgeschichte. So wird blond seit Marilyn Monroe teils unbewusst mit naiver Erotik verbunden, wohingegen wallend rote Locken etwas Verruchtes, gar sexuell Aufregendes implizieren. Hierbei lässt sich ein geschichtlicher Bogen schlagen zurück in die Zeit der Hexenverfolgung.

Von Perücke bis Bubikopf

Epochenweise galt die Frisur als Hinweis auf Geschlecht und soziale Stellung. Und sogar Zweithaar in Form einer Perücke diente als Statussymbol. Im Barock und Rokoko waren hoch aufgetürmte, kunstvoll drapierte Haarberge modern. Pfiffig, denn so wirkten Kleingewachsene größer, darunter König Ludwig XIV. Im Gegensatz zum erzwungenen Abschneiden der Haare als Machtdemonstration stand das selbstbestimmte Kürzen der als besonders weiblich geltenden langen Mähne Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals war es ein Ausdruck des Loslösens von geschlechtsgesellschaftlichen Konventionen – ein Statement der selbstbewussten Frauenwelt, Symbol für Emanzipation und Neustart. Ganz anders die Sechziger und Siebziger, als sich die Hippies ihre wuchernden Mähnen provokativ bürsteten, allen voran die Männer, was zu einem entsetzten Aufschrei im konservativen Bürgertum führte. Und schließlich sprayte sich die Punkbewegung ihre bunt gefärbten Strähnen gen Himmel.

Heute gilt jedenfalls: Haartechnische Restriktionen sind alte Zöpfe, erlaubt ist, was gefällt – und selbst oder gerade eine Glatze ist eine tolle Frisur!