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125 Jahre Hannover 96

Ein Fanklub in Sierra Leone

Ein Fanklub in Sierra Leone Bildunterschrift anzeigen Bildunterschrift anzeigen

STIMMUNGSMACHER: Viele Fans in der Nordkurve sind organisiert. Kleines Bild links: Die jungen 96-Freunde in Sierra Leone haben sogar Hannover-Trikots. Rechts: Die Macher des Fanklubs Red Rescue. Maike Lobback, Privat

Die Rufe, die Schreie, der Jubel, die Fahnen, die Stimmung in der Nordkurve – all dies hat eine große schwarz-weiß-grüne Tradition bei Hannover 96. Allein 125 Fanklubs listet 96 bei der Aufzählung auf seiner Homepage. Und dabei sind noch nicht einmal alle erwähnt. Dem Beispiel des 1. Fanklub Hannover 96 von 1976 folgten viele. Vom Oldie bis zum Teenie, vom Ultra bis zum Roten Teufel von 1978 – sie alle eint immer noch die rote Liebe zu 96. In der Fanszene hat sogar die „Blaulichtszene“ einen eigenen Klub gegründet. Red Rescue nennt sich die 96-verrückte Fangemeinschaft aus Feuerwehrleuten, Polizisten und Rettungskräften.

96 hat sogar Unterstützer in Afrika – viele Gruppen in Hannover

Ist 96 im Alter von 125 Jahren überhaupt noch zu retten? Der Vorsitzende, Gründer und Schornsteinfegermeister Sören Kramer (33) lacht. „Immer“, sagt er, „und immer eine Wundertüte, das ist doch der Reiz. Wenn wir immer gewinnen würden, könnt‘ ich auch zu den Bayern geh‘n.“ Aus dem Schaumburger Land nach München wäre es auch ein bisschen weit.

Die Gründungsmitlieder Sören Kramer, Bruder Björn und Thomas Gnauck hatten nicht vor, den befreundeten Fanklubs Rote Teufel oder Roter Balken beizutreten. „Wir wollten eine eigene Fahne, eine eigene Identität“, sagt Kramer. Wer beitreten möchte, muss im Hilfs- oder Rettungsdienst tätig sein, drei Frauen gehören seit diesem März zu den Rescues, bei 27 Mitgliedern.

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LIEBT 96: Abu Gbonda ist Gründer und Chef des Fanklubs in Sierra Leone. r

Auf dem Fanklub-Banner jubelt den Spielern auf dem Platz Waldemar Anton entgegen, beim Torschrei nach seinem 1:0 gegen Borussia Mönchengladbach (2:0) im April 2016. Es war Antons erstes Tor. „Er stand für Hannover, war Kapitän, und das Bild war klasse“, sagt Kramer. Mittlerweile ist Anton dem Klub von der Fahne gegangen – beziehungsweise ist nach Stuttgart gewechselt.

Die Distanz der Fanklubs in der Corona-Krise zwingt fast alle zur Untätigkeit. Der Fußball rollt weiter, bei den Fans herrscht Stillstand. Kramer hatte das Glück, wie er es nennt, bei Spielen mit begrenzter Fanzahl „gegen Düsseldorf und Peine-Ost dabei zu sein“, sagt er. „Aber mit Maske und Abstand war das natürlich auch nur das halbe Erlebnis.“

Red Rescue nutzte die Corona-Krise auch für andere Aktionen. Der Klub unterstützte den „Kampf gegen Corona“, erstellte Plakate mit Mutmachern, adressiert an Pflegekräfte und Ärzte: „An alle, die gegen Corona kämpfen! Niemals allein!“ Andere Mitglieder der Fanszene schlossen sich an. Die Initiative Rote Kurve sammelte zudem Spenden für Obdachlose, die sich keine FFP2-Masken leisten konnten. Die Wirkung der Fanszene geht weit über das Stadionerlebnis hinaus.

Abu Gbonda war noch nie in Hannovers Fußball-Arena, obwohl er Gründer und Chef eines Fanklubs ist. Was bei bei vielen dieser Zusammenkünfte auffällt: Es geht fast immer um die Verbundenheit mit der Region. Gbonda gründete einen Fanklub in Sierra Leone, der mittlerweile knapp 300 Mitglieder hat. In einem alten Kino lebte Gbonda seinen Hannover- Film. Er gewann Geld bei einer Fußballwette – wegen eines 96-Siegs – und gründete den Fanklub Sierra Leone. Während der Ebola-Pandemie unterstützte 96 mit zahlreichen Trikots über die Entwicklungshilfe. Der Klub gründete Fußballmannschaft, eigene Ligen – optisch spielt hier jedesmal Hannover 96 gegen Hannover 96. Zum 124-jährigen Bestehen schrieb Gbonda eine herzzerreißende Grußbotschaft: „Wir sind im Herzen bei unseren Spielern, dem Management und allen Fans in der ganzen Welt, und wir beten dafür, dass diese tödliche Pandemie bald vorbei sein wird“, schrieb Gbonda. Leider wird es noch etwas dauern, bis auch bei 96 die große Tradition der Fans und derer Klubs wieder blüht. Hannover wird seine Fans brauchen, um die Stimmung von früher in die neue Zeit nach der Pandemie zu retten. Und vielleicht, ganz vielleicht, bekommt 96 im Alter von 125 Jahren dann auch mal Besuch aus Sierra Leone. Es wäre eine ganz besondere von ganz vielen Fanklubgeschichten. Dirk Tietenberg