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Weihnachtspost von nah und fern - Region Nord

Der Duft von Weihnachten

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Bratäpfel schmecken nicht nur köstlich, sie können auch die Familie zusammenbringen. Fotos: Getty Images/iStockphoto

Geschenkte Geschichten

In vergangener Zeit, als die Wünsche noch nicht maßlos und die Herzen der Menschen mit Vorfreude erfüllt waren, wuchsen im Obstgarten meiner Großmutter zehn Apfelbäume. Im selben Jahr gepflanzt, hatten sie sich prächtig entwickelt, und es war eine Lust, im Herbst die glänzenden Äpfel zu ernten. Wann immer meine Oma in den Garten ging, rieb sie sich die Hände und freute sich über die makellos gereiften Äpfel.„Was für herrliche Früchtchen ihr seid“, lobte sie. „Gerade recht für den heiligen Nikolaus oder für den Weihnachtsbaum.“ Als sie das hörten, röteten sich die Apfelwangen noch mehr vor lauter Freude. Eines Tages aber wurde auf dem Nachbargrundstück eine Scheune gebaut und einer der Apfelbäume stand fortan im Schatten. Darüber grämte er sich so sehr, dass seine Früchte vor Ärger ganz grün blieben und ihn seine Kräfte schneller verließen. An Spätsommertagen, wenn sich die anderen Bäume im warmen Licht sonnten und ihm ein „An dir wächst kein Liebesapfel!“ zuriefen, konnte er seine Früchte nicht mehr am Ast halten. Mit einem satten Plumps fielen sie zu Boden. Da lagen sie nun im feuchten Gras und fühlten sich todtraurig.

Wie Uromis Bratäpfel zur Familientradition wurden

Meine Großmutter aber sammelte das Fallobst auf. „Ihr werdet meine schönsten Bratäpfel“, tröstete sie. Und so entstand ihr berühmtes Bratapfelrezept mit Rosinen, Zimt und Marzipan. Nur ich durfte die Bratäpfel im Ofenrohr wenden, eine schwierige Aufgabe, der ich mich zur Adventszeit mit Stolz widmete. Köstlich zog der Duft der Äpfel durch die Stube. Omas Rezept verwende ich noch heute in meiner eigenen Familie. Nur meine Tochter darf die Äpfel aus dem Ofen holen. Familientraditionen müssen ja weitergegeben werden.

„Will Kalli nicht zum Adventstee herunterkommen?“, frage ich meine Jüngste. Marie schüttelt den Kopf.
„Nö, kennst ihn ja, der zockt mal wieder.“
Ja, ein Heranwachsender im zarten Alter von vierzehn kennt sein Smartphone oft besser als die eigene Familie. Bin ich eigentlich die Einzige, die sich noch an Traditionen hält?
„Kannst du deinen Bruder bitte holen?“
„Immer ich!“ Marie stapft die Treppe hoch.
„Hey, komm runter, wir essen gleich!“
„Du kannst mich mal!“ Karl sieht nicht auf, tippt ungerührt in die Tasten.
„Wir warten auf dich!“
„Mach keinen Alarm! Bin gleich im nächsten Level.“ Schwestern können nerven.
„Hab keine Lust, mich zu streiten.“ Marie zuckt mit den Schultern. „Esse ich deine Portion eben mit. Danke!“
„Das tust du nicht.“

„Wetten, dass? Schließlich gibt es heute eine ausgewogene Mahlzeit.“ Marie verschwindet nach unten.
Karl tippt ungerührt weiter. Soll sie ruhig den Brokkoliquatsch essen. Pizza würde es nicht geben. „Zong – na bitte!“
„Kalli will nichts.“ Marie lässt sich auf den Stuhl fallen.
„Hast du ihm nicht erzählt, dass es Bratäpfel gibt?“
„Bin ich seine Erziehungsberechtigte? Hab ihm gesagt, es gibt eine ausgewogene Mahlzeit.“ Marie grinst.
„Könntet ihr euch nicht wenigstens zur Weihnachtszeit vertragen?“
„Tun wir doch. Er ist der beste Bruder der Welt, wenn ich seine Portion kriege.“
„Na …“ Ich bin skeptisch. „Dann hol mal die Äpfel aus dem Kamin, aber lass bitte die Wohnzimmertür zum Flur offen.“
„Gern, Mama!“ Marie öffnet die Backröhre des Kaminofens. Sofort zieht das altvertraute Aroma nach Bratapfel und Zimt bis unter das Dach.

„Nur meine Tochter darf die Äpfel aus dem Ofen holen. Familientraditionen müssen ja weitergegeben werden.!“   

„Mmmmh, herrlich, wie das duftet!“, ruft Marie. „Und ich kriege diesmal sogar zwei!“
„Never!“ Karl stürmt in die Stube und boxt Marie in die Seite. „Meinst du, ich lasse mir Uromis Bratäpfel entgehen?“
„Hätte es sowieso nicht übers Herz gebracht, dir deinen wegzuessen!“ Sie pufft ihren Bruder.
„Na, mein Großer, der Bratapfelduft hat dich wohl heruntergelockt, was?“ „Cooler Trick, Mama!“
Und so geschieht es, dass wir zur Weihnachtszeit folgsame Kinder haben. Zumindest immer dann, wenn Omas himmlischer Duft nach Bratäpfeln durch unser Haus weht.   Von Anke Wogersien

Geschenkte Geschichten

Der Duft von Weihnachten-2
Macht unseren Lesern ein Geschenk: Autorin Anke Wogersien. Foto: Privat

Auf die Einladung von HAZ und NP, Weihnachtsgrüße zu senden, hat sich auch Anke Wogersien gemeldet – nicht nur mit einem Gruß, sondern vor allem mit einem Geschenk an unsere Leser. Passend zum Fest hat sie uns Weihnachtsgeschichten zur Veröffentlichung gesendet. Wie sagen Danke dafür!

Zur Person: Anke Wogersien, geboren 1963, studierte Betriebswirtschaft in Hannover sowie Rhetorik in Göttingen und war viele Jahre als Ausbildungsleiterin in einem großen Unternehmen tätig.

Die Hauptpreisträgerin des Hildesheimer Lyrikwettbewerbs veröffentlichte ihren Debütroman „Ostseesommer“ (Folgeroman „Ostsee Deal“) im Jahr 2014. Sie wirkte an zahlreichen weiteren Veröffentlichungen mit, unter anderem an der Weihnachtsanthologie „Blitzeis und Gänsebraten“ und an dem von Konstantin Wecker unterstützten Projekt „TrümmerSeele – Dichter für Flüchtlinge“. In ihrem aktuellen Roman „Sie zielen auf mein Herz, damit ich falle“ behandelt sie das Thema Rückkehr der Wölfe nach Deutschland. Derzeit arbeitet Wogersien an verschiedenen Literaturprojekten. Die Autorin ist verheiratet und lebt in der Region Hannover.