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100 Jahre Leibniz- Universitätsgesellschaft Hannover

Am Anfang ­ war der Wiederaufbau

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Zum grossen Jubiläum – vor 65 Jahren: Die Technische Hochschule Hannover feierte 1956 ihr 125-jähriges Bestehen im neu gestalteten Lichthof des Welfenschlosses. Ingeborg Fischer

Albert-Ludwig-Fraas-Stiftung

Am 2. Dezember 1921 gründeten namhafte Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft die „Hannoversche Hochschulgemeinschaft – Vereinigung von Freunden der Technischen Hochschule e. V.“. Insgesamt 85 Mitglieder und Gäste versammelten sich im Hörsaal 151 des Welfenschlosses, dem Hauptgebäude der Hochschule. Sie gaben sich eine Satzung, ernannten einen Industriellen zum Vorsitzenden und wählten einen Verwaltungsrat. Ihm gehörten führende Vertreter der deutschen Industrie sowie bedeutende hannoversche Unternehmen an, darunter Firmen wie Hanomag, Westinghouse Bremsengesellschaft oder Continental-Caoutchouc- und Gutta-Percha-Compagnie. Die Hochschule war durch Mitglieder ihrer Abteilungen und den Rektor vertreten. „Wenn die deutsche Technik die ihr für den Wiederaufbau des Vaterlandes zufallenden Aufgaben erfüllen soll, so müssen alle ihre Kräfte in Wissenschaft und Praxis zusammenwirken“, formulierte die damalige Hannoversche Hochschulgemeinschaft ihre Aufgabe. Denn Kriegskosten und Reparationen hatten die junge Weimarer Republik nach dem Ersten Weltkrieg in eine finanzielle Zwangslage gebracht. Für die Hochschulgemeinschaft galt es fortan, die Notsituationen zu meistern, akzeptable Studienbedingungen an der Technischen Hochschule zu gewährleisten, wissenschaftliche Projekte zu unterstützen und dort einzuspringen, wo staatliche Mittel fehlten. Besonders die Hannoverschen Hochschultage brachten Forschung und Praxis zusammen. Mit der Karmarsch-Denkmünze schuf die Hochschulgemeinschaft im Jahr 1925 zudem eine hochrangige Auszeichnung für Verdienste in Technik und Wirtschaft. In der Zeit des Nationalsozialismus stellten sich die Hochschullehrer der damaligen Technischen Hochschule (THH) nahezu vorbehaltlos hinter Hitler. Auch die Hochschulgemeinschaft passte sich dem neuen Regime an und unterstützte es. So lieferten etwa die Themen der Hochschultage von 1935 bis 1937 einen Beitrag zur technisch-wissenschaftlichen Forschung zum nationalsozialistischen Vierjahresplan und dessen Autarkiebestrebungen.

Die Universitätsgesellschaft wurde in der Weimarer Republik gegründet

Nach dem Krieg konnte die Hochschulgemeinschaft aufgrund der noch bestehenden Netzwerke ihre Vereinstätigkeit rasch wieder aufnehmen. Geradezu zwangsläufig war es eine Kooperation von bereits im Nationalsozialismus aktiven Personen. Vorrangiges Ziel war der Wiederaufbau. Eine Vergangenheitsaufarbeitung unterblieb weitestgehend. Nichtsdestoweniger: Die Hochschulgemeinschaft trug im Verbund mit der Wirtschaft viel zu Erhalt und Aufbau der Hochschule bei. So half sie, Überlegungen der damaligen Landesregierung, die Technische Hochschule in Hannover zu schließen, zu verhindern. Eine Reihe von Hörsälen, die mit Unterstützung hannoverscher Firmen oder Privatleute eingerichtet wurden, tragen noch heute die Namen ihrer Stifter, etwa der Bahlsen-Hörsaal. Mit dem Direktor der Hannoverschen Portland-Zementfabrik Christian Kuhlemann verfügte die Hochschulgemeinschaft von 1949 bis 1964 über einen Vorsitzenden, der einer der herausragenden niedersächsischen Netzwerker seiner Zeit war.


Albert-Ludwig-Fraas-Stiftung

Am Anfang ­ war der Wiederaufbau-2
Am Anfang ­ war der Wiederaufbau-3

Mitte der 1960er-Jahre galt die Technische Hochschule äußerlich als konsolidiert. Personelle Kontinuitäten aus der NS-Zeit kennzeichneten Teile des Lehrkörpers jedoch bis in die 1970er-Jahre. Auch die Verleihung der Karmarsch-Denkmünze durch die Hochschulgemeinschaft war noch längere Zeit von einzelnen Preisträgern mit NS-Vergangenheit geprägt. Mit der Studentenbewegung und der einsetzenden Bildungsreform begann eine unruhige Zeit. Die Lehrerausbildung wurde zum Kernbereich der hochschulpolitischen Ausbaupläne. Die Studierendenzahlen stiegen rasant an. 1968 wurde die Technische Hochschule in Technische Universität umbenannt, aus der 1978 die Universität Hannover hervorging. 2006 erhielt sie den Namen Gottfried Wilhelm Leibniz Universität. Die Hannoversche Hochschulgemeinschaft nannte sich seit 1997 Freundeskreis der Universität Hannover, seit 2014 firmiert sie als Leibniz Universitätsgesellschaft e. V.

85 Personen gründeten 1921 die Hannoversche Hochschul­gemeinschaft.


Mehr Informationen über die Entwicklung der Leibniz Universitätsgesellschaft Hannover gibt es in dem zum Jubiläum erschienenen Buch „An der Seite der Universität – 100 Jahre Universitätsgesellschaft Hannover“ von Rainer Ertel, Rita Seidel und Carl-Hans Hauptmeyer (Hinstorff-Verlag, Rostock 2021).

Von Rita Seidell

Das sind die ­Gründungsmitglieder:

■ Chemische Fabrik List GmbH, Hannover, Wilhelm de Haën: 1911 übernahm Wilhelm de Haën die Leitung der Firma. 1995 wurde sie geteilt, der Laborchemikalienbereich wurde an Sigma-Aldrich verkauft, der Industriechemikalienbereich an Honeywell.

■ Continental-Caoutchouc- und Gutta-Percha-Compagnie, Hannover: Die 1871 gegründete Conti produzierte zunächst Weichgummiwaren wie Hufpuffer für Pferde, wovon noch das Pferd im Konzernlogo zeugt. Heute ist die Continental AG viertgrößter Hersteller von Autoreifen weltweit. Weitere Firmenbereiche sind autonomes Fahren und Antriebstechnologien.

■ Deutsche Eisenbahn-Signalwerke, Georgsmarienhütte: 1917 gründete Ernst Stahmer zusammen mit der Maschinenfabrik Bruchsal die Deutschen Eisenbahn-Signalwerke. Die spätere Vereinigte Eisenbahn-Signalwerke GmbH wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vollständig vom Siemens-Konzern übernommen.

■ Dresdner Bank, Hannover: 2009 fusionierte die Dresdner Bank AG mit der Commerzbank AG und ist damit als Rechtsträger erloschen.

■ Firma Günther Wagner, Hannover: Wagner produzierte Kunstfarben, Tuschen und Tinten. Später ging daraus die Firma Pelikan hervor. Sie gehört heute dem malaysischen Multiunternehmer Loo Hooi Keat.

■ Friedrich Krupp AG, Essen: Die Friedrich Krupp AG war ein deutsches Schwerindustrieunternehmen. Der Konzern ging 1968 vollständig in den Besitz der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung über.

■ Gebr. Körting AG, Hannover: Das 1871 gegründete Unternehmen war bis Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa führend bei der Entwicklung von Strahl- und Dampfstrahlpumpen. Auch heute stellt Körting Hannover Strahlpumpenanlagen sowie Apparate der thermischen und chemischen Verfahrenstechnik her.

■ Hamburger Hochbahn AG, Hamburg: Die Hamburger Hochbahn wurde 1911 als Aktiengesellschaft gegründet. Heute ist sie das größte Verkehrsunternehmen in Hamburg, betreibt die Hamburger ­U-Bahn und einen Großteil des Hamburger Stadtbus-Netzes.

■ Hannoversche Waggonfabrik, Hannover-Linden: Die HAWA produzierte von 1898 bis 1932 Eisenbahnwaggons, Straßenbahnwagen, Automobile, Kampfflugzeuge und Landmaschinen. Am 17. Februar 1932 wurde infolge der Weltwirtschaftskrise die Liquidation der Gesellschaft beschlossen.

■ Hanomag, Hannover: Die Hannoversche Maschinenbau AG stellte neben Nutzfahrzeugen auch Dampflokomotiven und Pkw her. 1989 übernahm der Komatsu-Konzern Anteile und seit 2002 ist die Komatsu Hanomag GmbH eine 100-prozentige Tochter des Unternehmens. Im September 2016 erfolgte die Umfirmierung in Komatsu Germany GmbH.

■ Heinrich Tramm, Stadtdirektor, Hannover: Der deutsche Politiker war von 1891 bis 1918 Stadtdirektor von Hannover. Nach ihm ist der Platz vor dem Neuen Rathaus, der Trammplatz, benannt.

■ Köln-Bonner Eisenbahnen (KBE), Köln: Die KBE betrieb zwischen Köln und Bonn ein ausgedehntes, teilweise elektrifiziertes Streckennetz. 1992 ging sie in der neu gegründeten Häfen und Güterverkehr Köln auf.

■ Maximilian Kempner, Justizrat, Berlin: Kempner war Jurist und Mitglied des Deutschen Reichstags.

■ Oskar Wolff, Industrieller, Walsrode: Wolff war Chemiker, Fabrikbesitzer und Politiker. Er führte das Unternehmen Wolff & Co. bis zu seinem Tod 1943.

■ Otto Taaks, Geheimer Baurat, Hannover: Taaks war ein deutscher Bauingenieur und Architekt. 1918 erhielt er den Ehrentitel Geheimer Baurat.

■ Otto Weinlig, Industrieller, Berlin-Charlottenburg: Der Ingenieur Weinlig hat sich im Bergbau und Hüttenbetrieb einen Namen gemacht. Er übernahm zum Beispiel 1914 die technische Leitung der Dillinger Hütte.

■ Stahlwerke Richard Lindenberg, Remscheid-Hasten: Richard Lindenberg baute den ersten industriell genutzten Elektrostahlofen der Welt. Sein Unternehmen fusionierte 1927 mit der Deutschen Edelstahlwerke AG und wurde 1929 aufgelöst.

■ Straßenbahn Hannover: 1921 wurde die Straßenbahn Hannover AG umfirmiert in Überlandwerke und Straßenbahnen Hannover AG, abgekürzt Üstra.

■ Verein Deutscher Maschinenbau-Anstalten, Berlin: Der Verein ist heute mit rund 3300 Mitgliedern Europas größter Industrieverband mit Sitz in Frankfurt am Main.

■ Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen, Bochum: Die VEW waren ein regionaler Energieversorger in Nordrhein-Westfalen. Im Jahr 2000 erfolgte die Fusion mit dem Energiekonzern RWE.

■ Westinghouse Bremsen-Gesellschaft, Hannover: Die Firma war die deutsche Niederlassung des US-amerikanischen Unternehmens Westinghouse Air ­Brake Company., kurz Wabco, wurde 2020 in die ZF-Gruppe eingegliedert.

■ Wilhelm Meyer, Justizrat, Hannover: Meyer war Jurist, Industrieller und nationalliberaler Reichstagsabgeordneter.